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Hes­si­sches LAG, Be­schluss vom 26.10.2016, 12 Ta 418/12

   
Schlagworte: Weiterbeschäftigung, Kündigungsschutzprozess
   
Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 12 Ta 418/12
Typ: Beschluss
Entscheidungsdatum: 26.10.2016
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Frankfurt/Main, 25.01.2012, 22 Ga 223/11
   

Te­nor:

Die so­for­ti­ge Be­schwer­de der Schuld­ne­rin ge­gen den Be­schluss des Ar­beits­ge­richts Frank­furt am Main vom 23. Ok­to­ber 2012 – 22 Ga 223/11 – wird kos­ten­pflich­tig zurück­ge­wie­sen.

Die Rechts­be­schwer­de wird nicht zu­ge­las­sen.

Gründe

I.

Die Schuld­ne­rin wen­det sich mit ih­rer am 08.11.2012 beim Lan­des­ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­ge­nen so­for­ti­gen Be­schwer­de ge­gen ei­nen ihr am 25.10.2012 zu­ge­stell­ten Be­schluss des Ar­beits­ge­richts Frank­furt a. Main, durch den sie zu der im ar­beits­ge­richt­li­chen Ur­teil vom 25.01.2012 (Az. 22 Ga 223/11) aus­ge­spro­che­nen Ver­pflich­tung, den Gläubi­ger zu den ver­trag­li­chen Ar­beits­be­din­gun­gen als Spe­zia­list Han­dels­be­treu­ung in Frank­furt/Main bis zur Be­en­di­gung des Kündi­gungs­schutz­ver­fah­rens wei­ter zu beschäfti­gen, durch Zwangs­geld, er­satz­wei­se Zwangs­haft, an­ge­hal­ten wor­den ist.

Die Schuld­ne­rin sprach ge­genüber dem Gläubi­ger am 29.06.2011 zum 31.12.2011 ei­ne be­triebs­be­ding­te Ände­rungskündi­gung aus, weil sie das Res­sort Fi­nan­ci­al Mar­kets, in dem der Gläubi­ger nach sei­nem Ar­beits­ver­trag als Spe­zia­list Han­dels­be­treu­ung tätig war, zum Jah­res­en­de nach Bonn ver­la­gern woll­te. Der Gläubi­ger nahm das Ände­rungs­an­ge­bot, sei­ne Tätig­keit in Bonn fort­zu­set­zen, nicht an. Mit sei­ner ge­gen die Kündi­gung er­ho­be­nen Kündi­gungs­schutz­kla­ge blieb er in ers­ter In­stanz er­folg­reich. Über die von der Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts vom 21.03.2012 am 09.07.2012 ein­ge­leg­te Be­ru­fung hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt bis­lang noch nicht ent­schie­den.

Mit An­trag vom 23.12.2011 mach­te der Gläubi­ger im einst­wei­li­gen Verfügungs­ver­fah­ren sei­nen Wei­ter­beschäfti­gungs­an­spruch nach § 102 Abs. V Be­trVG gel­tend. Das Ar­beits­ge­richt hat dem An­trag mit Ur­teil vom 25.01.2012 (22 Ga 223/11) statt­ge­ge­ben. Das Ur­teil ist mit der Zurück­wei­sung der von der Schuld­ne­rin da­ge­gen ein­ge­leg­ten Be­ru­fung durch das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts vom 03.07.2012 (15 Sa­Ga 243/12) rechts­kräftig ge­wor­den.

Da die Schuld­ne­rin sich in der Fol­ge wei­ger­te, den Gläubi­ger in Frank­furt/Main wei­ter zu beschäfti­gen, hat der Gläubi­ger am 11.07.2012 beim Ar­beits­ge­richt ei­nen Zwangs­geld­an­trag zur Durch­set­zung sei­nes rechts­kräfti­gen Wei­ter­beschäfti­gungs­an­spruchs ein­ge­reicht, auf den das Ar­beits­ge­richt Frank­furt mit Be­schluss vom 03.10.2012 Zwangs­mit­tel verhängt hat.

Die Schuld­ne­rin be­ruft sich zur Recht­fer­ti­gung ih­rer Wei­ge­rung auf die feh­len­de Be­stimmt­heit des Ti­tels, der nicht er­ken­nen las­se, mit wel­chen Ar­beits­auf­ga­ben der Gläubi­ger in Frank­furt/Main zu beschäfti­gen sei, so­wie die Unmöglich­keit sei­ner Beschäfti­gung in Frank­furt/Main, nach­dem das ge­sam­te Res­sort Fi­nan­ci­al Mar­kets, zu dem der Gläubi­ger gehörte, nach Bonn um­ge­zo­gen sei und sein bis­he­ri­ger Ar­beits­platz des­halb in Frank­furt nicht mehr be­ste­he.

Die Schuld­ne­rin be­an­tragt,

den Be­schluss des Ar­beits­ge­richts Frank­furt a. Main vom 23.10. 2012, Az. 22 Ga 223/11, auf­zu­he­ben und den An­trag des Gläubi­gers auf Verhängung von Zwangs­mit­teln zurück­zu­wei­sen.

Der Gläubi­ger be­an­tragt,

die so­for­ti­ge Be­schwer­de zurück­zu­wei­sen.

Er hält den Ti­tel für hin­rei­chend be­stimmt. Sei­ne Beschäfti­gung in Frank­furt/Main sei auch we­der aus recht­li­chen noch aus tatsächli­chen Gründen unmöglich.

Das Ar­beits­ge­richt hat der so­for­ti­gen Be­schwer­de nicht ab­ge­hol­fen und sie dem Lan­des­ar­beits­ge­richt zur Ent­schei­dung vor­ge­legt.

II.

Die so­for­ti­ge Be­schwer­de ist gemäß §§ 62 Abs. 2 ArbGG , 793 ZPO an sich statt­haft und wur­de in­ner­halb der in § 569 Abs. 1 ZPO nor­mier­ten Zwei­wo­chen­frist ein­ge­legt.

In der Sa­che selbst hat die Be­schwer­de kei­nen Er­folg; denn der Zwangs­geld­be­schluss des Ar­beits­ge­richts ist nicht zu be­an­stan­den.

1. Die all­ge­mei­nen Vor­aus­set­zun­gen für die Zwangs­voll­stre­ckung (Ti­tel, Klau­sel, Zu­stel­lung) lie­gen vor. Bei der Ver­ur­tei­lung zur Wei­ter­beschäfti­gung han­delt es sich um die Ver­ur­tei­lung zur Vor­nah­me ei­ner un­ver­tret­ba­ren Hand­lung gemäß § 888 ZPO .

2. Der ar­beits­ge­richt­li­che Ti­tel ist zur Voll­stre­ckung auch ge­eig­net; denn die Leis­tungs­pflicht der Schuld­ne­rin ist dar­in hin­rei­chend be­stimmt.

Der Maßstab für die Be­stimmt­heit ei­ner voll­stre­ckungsfähi­gen Leis­tung deckt sich mit den An­for­de­run­gen nach § 253 Abs. 2 ZPO für die Be­stimmt­heit des An­trags in der Kla­ge­schrift. Der be­stimm­te An­trag dient zum ei­nen zur Ab­gren­zung des Streit­ge­gen­stands, zum an­de­ren schafft er ei­ne Vor­aus­set­zung für die et­wa er­for­der­lich wer­den­de Zwangs­voll­stre­ckung. Er muss die Grund­la­ge dafür schaf­fen können, dass ei­ne Zwangs­voll­stre­ckung aus dem Ur­teil oh­ne ei­ne Fort­set­zung des Streits im Voll­stre­ckungs­ver­fah­ren zu er­war­ten ist. Un­klar­hei­ten über den In­halt der Ver­pflich­tung dürfen des­halb nicht aus dem Er­kennt­nis­ver­fah­ren ins Voll­stre­ckungs­ver­fah­ren ver­la­gert wer­den. Des­sen Auf­ga­be ist es zu klären, ob der Schuld­ner ei­ner fest­ge­leg­ten Ver­pflich­tung nach­ge­kom­men ist, nicht aber, wor­in die Ver­pflich­tung be­steht und ob das Ur­teil zu Recht er­gan­gen ist ( BAG 15.04. 2009 – 3 AZB 93/08 – NZA 2009, 917). Aus dem Ti­tel muss sich die Art der aus­ge­ur­teil­ten Beschäfti­gung er­ge­ben. Da­zu reicht es aus, wenn der Ti­tel ent­we­der das Be­rufs­bild, mit dem der Ar­beit­neh­mer beschäftigt wer­den soll, enthält oder sich aus dem Ti­tel in ver­gleich­ba­rer Wei­se er­gibt, wor­in die Tätig­keit be­ste­hen soll (BAG a.a.O.; Hess­LAG vom 23.10.2008 – 12 Ta 383/08 ; ju­ris). Es ist da­bei nicht er­for­der­lich, je­de ein­zel­ne ge­schul­de­te Tätig­keit in den Ti­tel auf­zu­neh­men. Die Zu­wei­sung kon­kre­ter Auf­ga­ben im Ein­zel­fall ist vom Ar­beits­an­fall abhängig und un­ter­liegt dem in § 106 Ge­wO ver­an­ker­ten Di­rek­ti­ons­recht des Ar­beit­ge­bers. Das ist um­so mehr der Fall, wenn die Be­zeich­nung im Ti­tel iden­tisch ist mit der Ver­ein­ba­rung im Ar­beits­ver­trag, auf de­ren Grund­la­ge der Ar­beit­neh­mer in der Ver­gan­gen­heit oh­ne Streit über sei­nen Auf­ga­ben­be­reich beschäftigt wor­den ist.

Bei der Prüfung, wel­che Ver­pflich­tun­gen durch den Voll­stre­ckungs­ti­tel fest­ge­legt wer­den, kann grundsätz­lich nur auf die­sen selbst, nicht da­ge­gen auf an­de­re Schriftstücke zurück­ge­grif­fen wer­den. Han­delt es sich bei dem Ti­tel um ein Ur­teil, können nach des­sen vollständi­ger Zu­stel­lung Tat­be­stand und Ent­schei­dungs­gründe zur Aus­le­gung des Ti­tels her­an­ge­zo­gen wer­den. Wei­ter ist zu berück­sich­ti­gen, dass § 313 Abs. 2 ZPO die Ver­wei­sung auf Schriftsätze, Pro­to­kol­le und an­de­re Un­ter­la­gen aus­drück­lich vor­sieht. So­weit das Ge­richt da­von Ge­brauch ge­macht hat, sind die­se Un­ter­la­gen des­halb als Teil des voll­streck­ba­ren Ti­tels zu be­trach­ten und können zur Aus­le­gung her­an­ge­zo­gen wer­den ( BAG Be­schluss v. 15.04.2009 – 3 AZB 93/08 – ju­ris; Hess­LAG 23.1.2003 - 16 Ta 672/02; Hess­LAG 25.06.2007 – 12 Ta 194/07). Im Er­geb­nis muss die Prüfung und Aus­le­gung des Ti­tels die Art der vor­zu­neh­men­den Hand­lung er­ge­ben.

Nach die­sen Grundsätzen ist die vom Ar­beits­ge­richt aus­ge­spro­che­ne Ver­pflich­tung zur Wei­ter­beschäfti­gung des Gläubi­gers als „Spe­zia­list Han­dels­be­treu­ung“ al­lein nach dem Te­nor der Ent­schei­dung noch nicht hin­rei­chend be­stimmt, weil sein Ar­beits­ge­biet da­durch nicht genügend deut­lich wird. Die Tat­bestände der Ur­tei­le bei­der In­stan­zen führen darüber hin­aus je­doch zum ei­nen aus, dass die Po­si­ti­on im Res­sort Fi­nan­ci­al Mar­kets an­ge­sie­delt ist. Da­mit wird das Ar­beits­feld, in dem die Schuld­ne­rin dem Gläubi­ger in Ausübung ih­res Di­rek­ti­ons­rechts Auf­ga­ben im Han­del zu­wei­sen kann, hin­rei­chend deut­lich ab­ge­steckt. Zum an­de­ren wird in den Ur­tei­len aus­geführt, dass die Po­si­ti­ons­be­zeich­nung „Spe­zia­list Han­dels­be­treu­ung“ iden­tisch mit der im Ar­beits­ver­trag ver­ein­bar­ten Tätig­keit ist. Da­mit ist ein hin­rei­chen­der Rah­men ab­ge­steckt, in­ner­halb des­sen die Schuld­ne­rin dem Gläubi­ger in Ausübung ih­res Di­rek­ti­ons­rechts ( § 106 Ge­wO ) Ar­beits­auf­ga­ben zu­wei­sen kann.

3. Mit der Ein­wen­dung, die ti­tu­lier­te Wei­ter­beschäfti­gung des Gläubi­gers sei ihr unmöglich ge­wor­den, kann die Schuld­ne­rin hier nicht mit Er­folg gehört wer­den. Der Ein­wand der Unmöglich­keit ist im Zwangs­voll­stre­ckungs­ver­fah­ren nach § 888 ZPO zwar grundsätz­lich zu be­ach­ten. Im Fal­le ei­nes Ti­tels auf Beschäfti­gung kann Unmöglich­keit dann ein­tre­ten, wenn der Ar­beits­platz, auf dem die Beschäfti­gung ge­schul­det ist, nach Ur­teil­s­er­lass weg­ge­fal­len ist oder ob­jek­ti­ve Umstände in der Per­son des Gläubi­gers ei­ner Wei­ter­beschäfti­gung ent­ge­gen­ste­hen. Das Glei­che gilt, wenn der endgülti­ge Weg­fall der ti­tu­lier­ten Beschäfti­gung un­strei­tig oder of­fen­kun­dig ist; denn dann fehlt es je­weils an der Grund­la­ge für die ge­schul­de­te Leis­tung. Nicht zu über­prüfen ist im Ver­fah­ren nach § 888 ZPO al­ler­dings die ma­te­ri­el­le Rich­tig­keit des ar­beits­ge­richt­li­chen Ur­teils; denn aus dem Grund­satz der Tren­nung von Er­kennt­nis- und Zwangs­voll­stre­ckungs­ver­fah­ren folgt, dass der Ge­gen­stand des Zwangs­voll­stre­ckungs­ver­fah­rens auf die Über­prüfung der Zulässig­keit der Zwangs­voll­stre­ckung auf der Grund­la­ge des vor­lie­gen­den voll­streck­ba­ren Ti­tels re­du­ziert ist ( BAG 15.04. 2009 – 3 AZB 93/08 ; Hess­LAG 23.10. 2008 – 12 Ta 383/08 ; 25.06.2007 – 12 Ta 194/07; LAG Ba­den-Würt­tem­berg 21.02.2007 – 17 Ta 1/07 - ju­ris). Das hat zur Fol­ge, dass al­le Umstände, die schon vor Ur­teil­s­er­lass ein­ge­tre­ten, im Er­kennt­nis­ver­fah­ren vor­ge­tra­gen und vom Ge­richt im Rah­men der Ent­schei­dung über den Wei­ter­beschäfti­gungs­an­spruch gewürdigt wor­den sind bzw. von der Schuld­ne­rin hätten vor­ge­bracht wer­den können, im Rah­men des Zwangs­voll­stre­ckungs­ver­fah­rens un­be­acht­lich sind.

Die Schuld­ne­rin ver­weist für die Unmöglich­keit der Beschäfti­gung auf die­sel­ben Gründe, die sie be­reits im Er­kennt­nis­ver­fah­ren vor­ge­bracht hat und die sämt­lich vor den Ent­schei­dun­gen der Ge­rich­te ers­ter und zwei­ter In­stanz be­reits ent­stan­den sind. Ob das Ar­beits­ge­richt hier an­ge­sichts der von der Schuld­ne­rin vor­ge­tra­ge­nen Gründe zu Recht zur Wei­ter­beschäfti­gung ver­ur­teilt hat, ist al­lein im Er­kennt­nis­ver­fah­ren, das hier al­ler­dings be­reits rechts­kräftig ab­ge­schlos­sen ist, zu über­prüfen. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat in der Be­gründung sei­nes Ur­teils vom 03.07.2012 für das Zwangs­voll­stre­ckungs­ver­fah­ren bin­dend aus­geführt, dass die Beschäfti­gung des Gläubi­gers in Frank­furt/Main für die Schuld­ne­rin nicht unmöglich sei. Umstände, die erst nach Ur­teil­s­er­lass ein­ge­tre­ten sind und zu ei­ner Unmöglich­keit der Wei­ter­beschäfti­gung geführt ha­ben, hat die Schuld­ne­rin nicht an­geführt.

Die Schuld­ne­rin hat die Kos­ten ih­res er­folg­lo­sen Rechts­mit­tels zu tra­gen ( §§ 64 Abs. 6 ArbGG , 891 S.3, 97 ZPO ).

Ein Grund für die Zu­las­sung der Rechts­be­schwer­de ( §§ 78 S. 2 , 72 Abs. 2 ArbGG ) war nicht er­sicht­lich.

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